Therapie

Seit den ersten Erwähnungen dies Begriffs „mentalization“ in Publikationen von Moran und Fonagy (1989) sowie Frith (1989) beziehen Autoren verschiedener Fachgebiete Mentalisierung mehr und mehr in ihre Publikationen mit ein.

Die ständig wachsende Zahl der Zitierung in der Abbildung weist vor allem darauf hin wie stark das Konzept Eingang in die Psychotherapie und der Psychotherapieforschung gefunden hat. gefunden hat.

So war die Prognose von Allen et al (2008) doch nicht so kühn:

„Wir nehmen an, dass Mentalisieren – in Bezug auf Mental States in uns und anderen – der bedeutendste gemeinsame Wirkfaktor in den therapeutischen Behandlungen ist. Weiter nehmen wir an, dass alle im Gesundheitswesen Tätigen von dem gründlichen Verständnis des Mentalisierungskonzepts und der Vertrautheit mit einiger seiner praktischen Anwendungen profitieren können.

Allen JG, Fonagy P, Bateman AW (2008) Übers. JB

Das Konzept hat nicht nur im Therapeutischen Bereich Einzug gefunden, sondern auch in der Pädagogik (Gingelmaier et al. 2018) und Beratung (Döring 2019, 2018).

Das Mentalisierungskonzept hat eine Brückenfunktion zwischen verschiedenen Therapieformen. Die therapeutischen Felder, in denen das Mentalisierungskonzept Eingang gefunden hat, lassen sich wie folgt charakterisieren.

+ Mentalisierungsbasierte Therapie (MBT) wurde in einem TagesklinikSetting in der Behandlung von Borderline Patienten entwickelt, ist forschungsnah, manualisiert und an dem britischen Versorgungsmodell (stationär oder teilstationär, Behandlungsteams) orientiert ist. In den letzten Jahren entwickelten sich Ansätze für weitere Anwendungsbereiche wie MBT-A für Adoleszente, MBT-C, MBT-F. Die Behandlungsansätze sind im Entwicklungsstadium und werden zurzeit in empirischen Studien überprüft. Mentalisierungsbasierte Therapie (MBT) bezeichnet dabei Behandlungskonzeptionen, denen eine hohe Struktur, meist eine Verbindung von Einzel – und Gruppentherapie, eine Teamorientierung und eine Manualisierung gemeinsam ist.  In  Forschungsprojekten bestehen die Therapien aus Behandlung in einem multiprofessionellen Behandlungsteam, mit Einzeltherapie als auch mit Gruppentherapie bei einer Dauer von 1-2 Jahre. Die Mentalisierungsbasierte Therapie (MBT) für Borderline-Persönlichkeitsstörungen hat durch RCT-Studien (insbesondere Bateman & Fonagy 1999, 2001, 2008), Eingang in die Leitlinien und den Cochrane Review (Størebo et al 2020) gefunden. MBT gilt deshalb neben DBT als einziges evidenzbasiertes Verfahren zur Behandlung von Borderline-Persönlichkeitsstörungen.

+  Die Anwendung des Mentalisierungskonzepts in der psychodynamischen und psychoanalytischen Einzeltherapie. MBT als ein leitendes Konzept hat sich auch als sinnvoll in ambulanter Therapiegezeigt (Bateman & Fonagy 2019 S. XV). Über diese Konzeption haben Brockmann, Kirsch & Taubner (2022) publiziert. Dies ist auch der Schwerpunkt des Fortbildungsprogramms der Autoren der Webseite (J. Brockmann & H. Kirsch).  Die Verbindung mit der psychodynamischen und psychoanalytischen Psychotherapie ist nicht verwunderlich, liegen die Ursprünge des Konzepts doch auch in der Psychoanalyse (Fonagy 2022). Über die zugrundeliegende Konzeption erfahren Sie mehr unter „Mentalisierten in der psychodynamischen und psychoanalytischen Psychotherapie“ .

+  Die Adaptation des Manualisierungskonzepts durch andere Verfahrengeschieht entweder punktuell oder breiter und mit konzeptuellem Hintergrund. Das Mentalisierungskonzept beruht auf der Psychoanalyse, gleichwohl nehmen die Autoren des Nebtakisierungskonzepts ebenso an, das andere Verfahren davon profitieren können. Das Mentalisierungskonzept steht durch seine wissenschaftliche Fundierung in einem wissenschaftlichen Diskurs z, B. mit der Verhaltenstherapie (Carcione et al. 2008, Sulz 2021, 2022) und der systemischen Therapie (Asen & Fonagy 2015).

 

Therapie in der Mentalisierung

Bild: Elisabeth Brockmann

 

Mentalisierungsförderung ist zunächst eine  therapeutische Haltung denn eine Technik.

Dennoch können Interventionen exemplarisch beschrieben werden.

Charakteristische  Interventionen

 „Mentalisieren ist eher eine Einstellung als eine Fertigkeit, eine forschende Haltung …“ (Fearon et al., 2009)

Mentalisieren fördern bedeutet die Exploration der eigenen Innenwelt, die einfühlsame Erforschung der Welt des anderen und der gemeinsamen Beziehung. Dabei kann es hilfreich sein, wenn der Psychotherapeut einen „Standpunkt des Nichtwissens“ einnimmt – das heißt, neugierig zu bleiben. Der Standpunkt des Nichtwissens ermöglicht dem Psychotherapeuten und dem Patienten ein gemeinsames Erforschen der äußeren und inneren Welt. Ein Standpunkt des Nichtwissens schützt davor, dem Patienten die eigene Sichtweise aufzudrängen. Wenn der Psychotherapeut darauf beharrt, dass er es besser weiß als der Patient, ist der Prozess des Mentalisierens meist zu Ende.

Die fragende Haltung des Therapeuten kann dabei den Patienten anregen, sich selbst und andere zu verstehen. Fragen nach dem „Wie?“ sind dabei meist hilfreicher als Fragen nach dem „Warum?“ Also z. B. besser „Wie fühlte es sich an, sich so zu ärgern?“ als „Warum haben Sie sich geärgert?“ Warum-Fragen führen zur Ursachen-Forschung, Wie-Fragen hingegen fördern den Prozess.

Interventionen zur Förderung von Mentalisierung

  • Einen Standpunkt des Nichtwissens einnehmen
  • Weitere Explorationen anregen
  • Auf Gedanken, Wahrnehmungen und Gefühle im „Hier und Jetzt“ fokussieren
  • Alternative Erklärungsweisen anbieten
  • Den Patienten dazu gewinnen, Interaktionen und eigene Erfahrungen aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten
  • Bereitstellen von Erfahrungen einer sicheren Basis, die dem Patienten die Exploration der inneren Zustände erleichtert
  • Förderung einer mittleren Intensität emotionaler Beteiligung, die weder zu „kalt“ noch zu „heiß“ ist.

 

Die MBT Adherence und Competence Scale

Die Skala kann zur der Überprüfung dienen, in wieweit der/die Therapeut*in  am MBT-Modell sich orientiert ist. Die aktuelle Version der Skala findet sich auf der Webseite des Anna Freud Center London.

  • Mentalisieren: Strukturierung der Stunde durch den Therapeuten
    • Engagement und Wärme
    • Prioritäten identifizieren
  • Standpunkt des Nicht-Wissens einnehmen („Wie“ statt „Warum“ fragen, offene Fragen, Authentizität, angemessenes Wissen und Nichtwissen)
  • Mentalisieren – der Prozess
    • Empathisches Validieren
    • Anerkennen von effektivem Mentalisieren
    • Das Stresslevel regulieren.
    • Die Stunde strukturieren (explorieren, stoppen, zurückgegen)
    • Gegenläufige Bewegung initieren (Prioritäten) Beendigung der Stunde
  • Nichtmentalisierende Modi identifizieren
    • Psychische Äquivalenz (konkretitischer Modus)
    • Als-Ob Modus
    • Hypermentalisieren
    • Teleologischer Modus (Funktion)
  • Das affektive Narrativ (des Patienten) mentalisieren (s. a. Fokusformulierung)
    • Klarifikation
    • Affekt-Identifikation
    • Affektfokus
    • Affekt und interpersonale Problematik
  • Die therapeutische Beziehung mentalisieren
    • Erst validieren der Erfahrungen des Patienten, d.h. explorieren der Übertragung
    • Erst später und die Gegenübertragung als eigene Erfahrung markieren

Weitere Informationen über die MBT Adherence und Kompetenz-Skala finden Sie unter Adherence Skala

Beim mentalisierungsorientierten Vorgehen ist es nicht die Aufgabe des Therapeuten, dem Patienten zu sagen, wie er fühlt, was er denkt, wie er sich verhalten soll, was seine dahinterliegenden Gründe für seine Schwierigkeiten sind, bewusst oder unbewusst. Jeder Versuch in Richtung „Ich weiß, wie der Patient ist“ oder wie er sich verhalten und denken soll, und warum er so ist, wie er ist, kann für den Patienten schädigend sein. Um das zu vermeiden, hilft die Haltung des Nichtwissens.

Interventionen, die die Mentalisierung fördern – ein Beispiel 

Patient: „Ihre Sekretärin hat mich beleidigt! Ich wollte Sie sprechen und sie hat mich angegriffen.“

Therapeut: „Sie sind ja ganz aufgeregt. Lassen Sie uns versuchen, etwas ruhiger über die Situation zu sprechen.“
Therapeut versucht die Affekte runterzuregulieren

Patient: „Ich werde sie verklagen!“

Therapeut: „Da ist ja etwas ganz Heftiges zwischen Ihnen passiert, kein Zweifel. Versuchen Sie doch – wenn’s geht, etwas ruhiger – mir die Situation zu beschreiben. Damit wir weitersehen können.“
Therapeut versucht die Affekte zu validieren  und Exploration anzuregen

Patient: „Nein, mir reicht’s!“

Therapeut: „Wenn Sie mich so anschreien, kann ich nicht besonders gut nachdenken! Sie auch nicht?“
Therapeut versucht erneut die Affekte runterzuregulieren, diesmal etwas unkonventioneller – mit Humor

Patient: „Hören Sie auf!“

Therapeut: „OK, was war los?“

Patient: „Ich kann mich nicht mehr ganz erinnern, aber Sie glauben mir ja doch nicht.“

Therapeut: „Sie haben das so erfahren, und das ist für mich maßgeblich.“
Therapeut versucht Validierung der Erfahrungen des Patienten 

Patient: „ Ich muss die Dinge jetzt unbedingt mit Ihnen besprechen. Haben Sie 2 Stunden Zeit.“

Therapeut: „ Es ist manchmal besser, etwas Abstand von den Dingen zu haben, bevor man sie bespricht. Wir können Dinge besser handhaben und verstehen, wenn wir nicht zu nah am Feuer sind.“
Der Therapeut versucht die Mentalisierungsfähigkeiten beim Patienten und Therapeuten wieder herzustellen.

Patient: „Ja, ich bin so aufgeregt, dass ich mich nicht vollständig erinnern kann.“

Therapeut: “Ok. Gehen wir noch einmal zurück. Wie hat das mit der Sekretärin alles angefangen. Aber regen Sie sich nicht so auf, ich bin nicht die Sekretärin.“
Therapeut versucht zu einem Zeitpunkt des Gesprächs zurückzugehen, zu dem noch Mentalisieren möglich war.

Patient: „Sie sind der Einzige hier, außer Dr. S., mit dem man sich vernünftig unterhalten kann.“

Therapeut: „Na, das weiß ich nicht so.“

Die Wirkung von mentalisierungsfördernden Interventionen haben wir (Brockmann & Kirsch) zusammen mit einer Forschungsgruppe in einer Einzelfallstudie untersucht. Bei zwei von drei Patienten in psychoanalytischer Behandlung konnte die Wirksamkeit der mentalisierungsfördernden Interventionen gezeigt werden (Brockmann et al. 2018 und 2017).

Lesen Sie  weiter:

Literatur

Allen JG, Fonagy P, Bateman AW (2008) Mentalizing in clinical practice. American Psychiatric Publishing, Arlington P. 1, (Übers JB.) 

Asen E, Fonagy P (2015) Mentalisierungsbasierte Familientherapie. In: Bateman, A. W.; Fonagy, P. (Hrsg.): Handbuch Mentalisieren. Gießen, Psychosozial. 135 – 158.

Bateman A, Fonagy P (1999) The effectiveness of partial hospitalization in the treatment of borderline personality disorder – a randomised controlled trial. American Journal of Psychiatry 158, 1563-1569

Bateman A, Fonagy P (2001) Treatment of borderline personality disorder with psychoanalytically oriented partial hospitalisation: an 18 month follow-up. American Journal of Psychiatry 156, 36-42

Bateman A, Fonagy P (2008) 8 years follow-up of patients treated for borderline personality disorder: mentalization-based treatment versus treatment as usual. Am J Psychiatry 165, 631-638

Bateman A & Fonagy P (2019) Handbook of Mentalizing in Mental Health Practice 2ndEd. American Psychiatric Association Publishing Washington

Carcione A, Dimaggio G, Fiore D, Nicolo G, Procacci M, Semerari A, & Pedone R (2008). An intensive case analysis of client metacognition in a good-outcome psychotherapy: Lisa’s case. Psychotherapy Research, 18, 667–676. doi:10.1080/10503300802220132

Döring P (2019) Führen und Mentalisieren. Gruppenpsychother Gruppendynamik 55 (2):118-130

Döring P (2018) Persönlichkeit und Mentalisierungsstörungen in Organisationen. PDP 17:168-180

Fonagy, P. (1989). On tolerating mental states: Theory of mind in borderline patients. Bulletin of the Anna Freud Centre, 12, 91-115.

Fonagy P (2022) Vorwort In: Brockmann J, Kirsch H, Taubner S. Mentalisierten in der psychodynamischen und psychoanalytischen Psychotherapie. Klett-Cotta Stuttgart

Frith, U. (1989). Autism: Explaining the enigma. Oxford, UK: Blackwell.

Gingelmaier St, Taubner S, Ramberg (Hg) (2018) Handbuch mentalisierungsbasierte Pädagogik Vandenhoek & Ruprecht

Rossouw TI, Fonagy P (2012) Mentalization-based treatment for self-harm in adolescents: a randomized controlled trial. J Am Acad Adolesc Psychiatry 51(12) 1304-1313

 Storebø, O. J., Stoffers-Winterling, J. M., Völlm, B. A., Kongerslev, M. T., Mattivi, J. T., Jørgensen, M. S., Faltinsen, E., Todorovac, A., Sales, C. P., & Callesen, H. E. (2020). Psychological therapies for people with borderline personality disorder. Cochrane Database of Systematic Reviews, 5.

Sulz SKD (2021) Mentalisierungsfördernde Verhaltenstherapie. Entwicklung von Affektregulierung, Selbstwirksamkeit und Empathie. Psychosozial Vlg. Gießen

Sulz SKD (2022) Heilung und Wachstum der verletzten Seele. Praxisleitfaden Mentalisierungsfördernde Verhaltenstherapie. Psychsozial Vlg. Gießen

Taubner S, Kornhas, , Hauschild, S (2020) Mentalisierungsbasierte Therapie zur Förderung von Persönlichkeitsfunktionen in der Adoleszenz. Kinderanalyse 28/2 pp 90-112 DOI 10.21706/ka-28-2-90