Mentalisierungsfördernde Psychoedukation

Was ist Mentalisieren und warum ist es wichtig?

Ziel der Psychoedukation ist die Vermittlung von Grundkenntnissen über Mentalisieren und soll Mentalisieren anregen. Dies geschieht am besten durch Gruppendiskussionen, Rollenspiele und Übungen.

Ziel der Psychoedukation ist dabei eher die Kultivierung mentaler Prozesse und nicht das Aufdecken oder Verändern mentaler Inhalte.

Mentalisierungsfördernde Psychoedukation hat sich als klinisch erfolgreich erwiesen und gilt als geeignete Methode zur Vermittlung des Mentalisierungskonzepts (Haslam-Hopwood et al. 2009, Schultz-Venrath 2013, Kirsch 2014, Kalbfuss, Polat, Urbanek 2014).

Modelle der Psychoedukation

  1. Psychoedukationsgruppen als Teil stationärer Behandlung

Aus der Menninger-Klinik (USA) wurde von Psychoedukationsgruppen als Vorbereitung für eine stationäre Behandlung berichtet (Haslam-Hopwood et al. 2009). Ca. 20-30 Patienten nehmen einmal pro Woche über 6 – 8 Wochen teil.

Der Ablauf gliedert sich in 3 Teile von je 2-3 Sitzungen:

  • Konzept der Mentalisierung
  • Psychiatrische Störungen und Beeinträchtigung von Mentalisierung
  • Verbesserung der Mentalisierung durch verschiedene Behandlungskomponenten

Neben der Informationsvermittlung wird zu Gruppendiskussionen, Übungen und Rollenspiele angeregt, um die Inhalte zu vertiefen und lebendig werden zu lassen.  Beispiele für Übungen finden sich in Haslam-Hopwood et al. 200, S. 364-369.

Bild: Elisabeth Brockmann

  1. Patienteninformation in der ambulanten Behandlung

Für den Erfolg einer Psychotherapie ist die Information über das Konzept und das Vorgehen von Bedeutung. Information schafft einerseits für den Patienten Sicherheit und andererseits ist die Übereinstimmung in den Zielen und Aufgaben zwischen Therapeut und Patient ein bedeutender Wirkfaktor in allen Therapien (Laska et al. 2014). Dies findet auch Berücksichtigung im Konzept der dreifachen Kommunikation in der mentalisierungsorientierten Psychotherapie (s. Psychotherapie als dreifache Kommunikation).

Eine Patienteninformation beinhaltet häufig folgende Elemente:

a) Mentalisieren und seelische Gesundheit

b) Mentalisieren ist dann am schwierigsten, wenn wir es am nötigsten brauchen:

  • wenn wir unter Stress stehen,
  • wenn wir heftige Gefühle haben,
  • in intensiven Beziehungen mit anderen Menschen,
  • wenn wir uns unverstanden fühlen,
  • wenn wir ein seelisches Trauma erlitten haben.

c) Informationen zur Therapie

Zur Förderung von Mentalisierung wird der Therapeut zum Beispiel versuchen:

  • die gegenwärtigen Gedanken, Wahrnehmungen und Gefühle in den Mittelpunkt zu stellen.
  • Fragen anzuregen, nach ihrer eigenen inneren Welt und der von anderen Menschen.
  • Sie dazu zu gewinnen, Beziehungen und eigene Erfahrungen aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten.

 

Eine Patienteninformation befindet sich in Kirsch, Brockmann & Taubner (S.216) „Den Patienten für die Behandlung gewinnen“. Sie ist angelehnt an die Menninger Clinic (2007) (s.a. Allen et al. 2003)

 

  1. Psychoedukation bei Patienten mit stärkeren Beeinträchtigungen

Bei der Affektregulierung und dem Bemühen, Kontrolle über des Verhalten zu behalten, können zwei weitere Elemente, die Aspekte der Psychoedukation enthalten, hilfreich sein. Aus MBT-Perspektive gilt, dass der Patient seine Gefühle und Motive möglichst selbst differenzieren lernt (Sharp & Fonagy 2015).

3.1 Krisenplan

Die Erstellung eines Krisenplans vor der Behandlung ist indiziert z. B. bei Patienten die zu Selbstverletzungen oder Suizidalität neigen. Die gemeinsame Erstellung eines Krisenplans ist mentalisierungsfördernd, weil sie die Reflektion über Krisen in einem Moment fördert, in dem die Affekte noch relativ gering sind. Ein Krisenplan ist im Notfall eine wichtige Entlastung, weil er Strukturierung und Sicherheit gibt und in der Krise die Mentalisierung (u.a. durch Stress) gewöhnlich stark eingeschränkt ist.

Der Krisenplan kann z. B. folgende Aspekte beinhalten:

  • Was der Patient in der Krise selbst tun kann.
  • Informationen für den Arzt oder andere Helfer, die den Patienten in einer Krise sehen.
  • Was ein Helfer machen kann und was nicht.
  • Zusammenfassung der unmittelbaren Hilfe, die in der Vergangenheit nützlich war.
  • Kontakte und Liste der Helfer, die den Krisenplan erhalten.
  • Der Krisenplan sollte während der Behandlung aktualisiert/verbessert werden.
    • Updates nach jeder Krise, in der der Plan benutzt wurde.
    • Verbesserungen in Abstimmung mit der Sicht des Patienten.

 

3.2. Skilltraining

Inhalte eines Skilltrainings zum Umgang mit Krisen werden am Besten in einer kleinen Gruppe im wöchentlichen oder 14-tägigen Rhythmus vermittelt:

  • Ablenken durch Aktivitäten
  • Ablenken durch Gefühle ersetzen
  • Zurückholen durch Körperempfindungen
  • Beruhigung mit Hilfe der 5 Sinne
  • Gefühlstagebuch (App): Verhalten und Affekte beobachten und protokollieren
  • Radikale Akzeptanz
  • Achtsamkeitstraining

 

Das Skilltraining greift auf die persönlichen Erfahrungen der Teilnehmer bei den Übungen zurück, ist aber keine Psychotherapie. Die meisten Erfahrungen mit Skillgruppen liegen in der Dialektisch Behavioralen Therapie (DBT) (Linehan 1996) vor (Manual: Bogus & Wolf-Arehult 2013).

Für Krisenplan und Skilltraining wurden in neuester Zeit  Apps entwickelt. Z. B. https://woop.la/skills2go/ oder https://play.google.com/store/apps/details?id=se.annadroid.Dbt112&hl=de

Weshalb sind Skilltrainings mentalisierungsfördernd?  In persönlichen Krisen brauchen Patienten dringend ihre Mentalisierungsfähigkeiten. Leider werden die Mentalisierungsfähigkeiten gerade dann  u. a. durch den Stress, den eine Krise verursacht,  massiv eingeschränkt.  Es ist gut, wenn eine Person in diesen Momenten Skills zur Verfügung hat, die er bei einem drohenden Verlust der Mentalisierungsfähigkeiten einsetzen kann, um in die Mentalisierung zurückzufinden. Neben den Skills ist auch die Diskussion dieser Prozesse am konkreten Fall in einer Skillgruppe schon mentalisierungsfördernd, weil wir dabei in einem möglichst stressfreien Rahmen über den drohenden Verlust von Mentalisierung in einer Krisensituation reflektieren können.

 

Literatur

Allen, J.G., Bleiberg, E. & Haslam-Hopwood, T. (2003). Mentalizing as a compass for treatment. Bulletin of the Menninger Clinic, 67(1), 1–4

Bohus M, Wolf-Arehult (2013) Interaktives Skilltraining für Borderline-Patienten. Das Therapeutenmanual. Schattauer Stuttgart

Haslam-Hopwood, G.T. G.; Allen, J.G.; Stein, A.; Bleiberg, E. (2009): Verbesserung des Mentalisierens durch Psychoedukation. In: Allen, J.G.; Fonagy, P. (Hrsg.) Mentalisierungsgestützte Therapie. Klett-Cotta, Stuttgart. S.347-373.

Kalbfuss, T.; Polat, A.; Urbanek, S. (2014) Mentalisierungsbasierte Psychoedukation mit Patienten einer psychiatrischen Institutsambulanz. In: Kirsch, H. (Hrsg.) Das Mentalisierungskonzept in der Sozialen Arbeit. Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht. S.115-139.

Kirsch, H. (in Druck) Mentalisieren in der Sozialen Arbeit. In: Gingelmaier, S.; Taubner, S. & Ramberg, A.: Handbuch Mentalisierungsbasierte Pädagogik. Göttingen. Vandenhoeck & Ruprecht.

Kirsch, H. & Zapp. H. (in Druck): Mentalisieren in Sozialen Organisationen. In: Kotte, S. & Taubner, S.: Mentalisierung in Organisationen. Heidelberg. Springer.

Kirsch, H. (Hrsg.)  (2014) Das Mentalisierungskonzept in der Sozialen Arbeit. Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht.

Kirsch H, Brockmann J & Taubner S (2016) Praxis des Mentalisierens. Klett-Cotta Vlg. Stuttgart.

Laska, K., Gurman, A., & Wampold, B. (2014). Expanding the lens of evidence-based practice in psychotherapy: A common factors perspective. Psychotherapy, 51, 467–481. doi:10.1037/a0034332

Linehan, M (1996). Dialektisch-Behaviorale Therapie der Borderline-Persönlichkeitsstörung. München: CIP-Medien

Menninger Clinic (2007) Mentalizing as a Compass for Treatment. http.//www.menningerclinic.com/printablebro/mentalzining_comnpass.htm (Abruf 18.08.2007).

Schultz-Venrath U. (2013) Lehrbuch Mentalisieren. Klett-Cotta, Stuttgart.

Sharp, C.; Fonagy, P. (2015): Practitioner Review: Borderline Personality disorder in adolescence: recent conceptualization, intervention and implications for clinical practice. J of child Psychology and Psychiatry. DOI: 10.1111/jcpp.12449