Mentalisierte Affektivität

„Emotionale Erfahrung ist der erste Schritt zu einem Gedanken. 
Am Ende der Straße finden wir das Denken….“ 
Green A 1998 (Übers. JB)
A.
“Although many of us may think of ourselves as thinking creatures that feel, biologically we are feeling creatures that think.” 
Taylor JB 2008, Neuroscientist

 

© Elisabeth Brockmann / VG Bild-Kunst

 

Es ist ein zentrales Element in vielen Formen des seelischen Leidens, den eigenen Affekten ausgeliefert zu sein, sei es z.B. durch massive Angst, starke depressive Affekte oder unerträglichen Gefühlen von dunkler Leere. Nach Gross & Jazaieri (2014) liegen bei 40 -70% der psychischen Störungen massive affektive Probleme und Probleme ihrer Regulation vor.

Mentalisierte Affektivität wird verstanden als eine Form von Affektregulation, die die Neubewertung und Modulation der Affekte beinhaltet und zur besseren Steuerung von Verhalten führen soll (Fonagy, Gergely, Jurist& Target 2018). Bei der mentalisierten Affektivität werden Affekte und Mentalisierung online wahrgenommen und betrachtet. Starke Affekte zu haben und dann noch mentalisieren zu können ist nicht einfach.

Bei der klassischen Sicht zur Affektregulation (wie sie z.B. von der kognitiven Verhaltenstherapie vertreten wird) steht die Kontrolle der Kognitionen über die Affekte im Vordergrund, vermittelt durch eine kognitive Distanzierung von den Affekten.
Das Ziel der mentalisierten Affektivität ist hingegen, eine Person in die Lage zu versetzen, Affekte bewusst zu erleben und den Affekten eine Bedeutung zu geben, sowohl im Hier und Jetzt als auch hinsichtlich vergangener Erfahrungen. Die Person gewinnt dadurch Kontrolle über das Ausleben von Affekten und den Steuerungsfunktionen hinsichtlich des Verhaltens.

Zentrales Therapieziel der Mentalisierungsbasierten Therapie (MBT) ist die „mentalisierte Affektivität“. Greenberg et al. (2017) unterscheiden 3 Phasen des therapeutischen Prozesses hinsichtlich:

 

  1. Identifizierung der Affekte
  2. Prozessierung der Affekte (Modulation und Differenzierung)
  3. Kommunikation nach innen und außen

 

Zur Kommunikation der Affekte gehört auch die Interpretation der Affekte im sozialen Kontext. Sie ist häufig die Kernproblematik bei vielen Patienten und charakteristisch für Borderline Patienten.

Die Förderung der mentalisierten Affektivität ist nicht nur bei Patienten mit strukturellen Einschränkungen nötig, sie ist auch Fokus bei höher strukturierten Patienten indiziert, die nur konfliktbedingt und in spezifischen Situationen ihre Mentalisierungsfähigkeiten verlieren. Wenn Mentalisieren gelingt, geht es mehr um Konflikte und Inhalte, wenn die Mentalisierung zusammenbricht, um die Widerherstellung von Mentalisierung und Affektregulierung. Man kann dies bildlich gesprochen als ein Vordergrund (Konflikte) – Hintergrund (Mentalisieren) Phänomen verstehen. In der Behandlungen mit einem mentalisierungsbasierten Schwerpunkt (Hintergrund) geht es – mit anderen Worten ausgedrückt – mehr um den Aufbau sekundärer Repräsentanzen im Sinn von Mentalisierung und weniger um das bewusst machen unbewusster Konflikte.

Für die Förderung der Mentalisierung von Affekten lassen sich grundsätzlich zwei verschiedene Richtungen unterscheiden. Eine Person kann im therapeutischen Prozess zu sehr „kognitionslastig“ oder zu sehr „affektlastig“ sein. Ein Impulsdurchbruch kann z. B. Folge einer zu starken Kognitionslastigkeit sein. Die Affekte sind dem Patienten möglicherweise nicht zugänglich oder nicht präsent, sie kommen wie ein Ufo ohne Ankündigung. Der Patient berichtet zum Beispiel: „Es passiert mir einfach. Plötzlich war es da. Die Gefühle kommen aus dem nichts!“. Hier wird es darum gehen, aus dem implizit ablaufenden Prozess durch Beobachtungen auf der Mikroebene einen expliziten Prozess zu machen. Ein Impulsdurchbruch kann aber auch die Folge langandauernder und schwer zu ertragender Affekte sein. Die Kontrolle über die Affekte geht in einem Moment dann endgültig verloren. Die Förderung der Mentalisierung geht im therapeutischen Prozess jeweils in die Richtung des Pols, der im aktuellen Prozess zu wenig präsent ist.

 

Literatur

Bolte Taylor, Jill (2008). My Stroke of Insight: A Brain Scientist’s Personal JourneyVikingISBN 978-0-670-02074-4.

Fonagy P, Gergely G, Jurist EL, Target M (2018) Affektregulierung, Mentalisierung und die Entwicklung des Selbst. Klett-Cotta, Stuttgart

Green A (1998) Primordial mind and the work of the negative. International Journal of Psychoanalysis, 79(Pt.4), 649-665

Greenberg DM, Kolasi J, Hegsted CP, Berkowitz Y, Jurist EL (2017) Mentalized affectivity: A new model and assessment of emotion regulation. PLoS ONE 12(10): e0185264. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0185264

Gross JJ, Jazaieri H (2014) Emotion, emotion regulation, and psychopathology: An affective science perspective. Clinical Psychological Science, 214, 387-401.