Psychotherapie als dreifaches Kommunikationssystem
Ausgangspunkt der Überlegungen von Fonagy & Allison (2014) ist die therapeutische Beziehung. Die Ergebnisse der Therapieforschung weisen auf die therapeutische Beziehung als einen zentralen Mediator des Therapieerfolgs hin (Wampold 2015, Laska et al. 2014). Die therapeutische Beziehung öffnet einen sozialen Lernprozess, von dem der Patient zwischen den Behandlungsstunden profitiert. Mentalisierung fördert dabei die Sicht des Patienten als eigenständige Person, die für sich selbst gültige Erfahrungen macht.
Ausgehend von Forschungsergebnissen der letzten Jahre wird ein allgemeines Modell der Psychotherapie formuliert. Zu den Forschungsergebnissen gehören die Ergebnisse von Wampold & Laske et al. (Wampold 2015, Laske et al. 2014) die durch Metaanalysen fanden, dass die meisten evidenzbasierten Therapie in etwas gleich wirksam sind. Ihre Wirksamkeit kann durch allgemeine Faktoren („common factors“) begründet werden, zu denen insbesondere die Therapeutische Beziehung gehört. Die Behandlungstechniken selbst tragen jedoch zum Behandlungserfolg nur in einem sehr geringen Maß bei. Zu den Forschungsergebnissen gehören auch eine Reihe großer Studien (Caspi et al. 2014, Sharp et al. 2015), die zu dem Ergebnis kommen, dass bei der Diagnostik psychischer Störungen, insbesonders bei Persönlichkeitsstörungen ein gemeinsamer p-Faktor (p steht für generelle Psychopathologie) die größte Aussagekraft hat. Näheres dazu finden Sie bei „Mentalisierung als Brückenkonzept“.
Das von Fonagy & Allison (2014) vorgeschlagene Modell geht von zwei Grundannahmen aus: Erstens: Kommunikation ist die allgemeinste Grundlage von Psychotherapie. Diese Annahme ist für alle Therapierichtungen konsensfähig. Zweitens: Kommunikation ist die Grundlage von Mentalisierung oder mit anderen Worten, der zentrale Aspekt des Mentalisierungskonzepts ist Kommunikation.
1. Die Therapietheorie des Therapeuten
Alle evidenzbasierten Psychotherapieformen liefern dem Patienten ein Verständnis über sich, seinen Verstand und seine Seele. Sie liefern ein Verständnis über seine Störungen und wie Veränderungen in der Therapie verstanden werden können. Diese manchmal impliziten, manchmal expliziten Erklärungen des Therapeuten wirken als wichtige, persönlich relevante Botschaften des Therapeuten. Sie schaffen epistemisches Vertrauen bzw. reduzieren die epistemische Alarmbereitschaft.
2. Wiedererlangen von robuster Mentalisierung – Mentalisierung als „common factor“ –
Die Förderung von Mentalisierung beruht auf zwei wesentlichen Aspekten: einer mentalisierungsfördernden Haltung sowie spezifischen Interventionen (s. Mentalisieren in der psychodynamischen und psychoanalytischen Psychotherapie). Die mentalisierungsfördernde Haltung des Therapeuten – zum Beispiel die Haltung des Nichtwissens – ist ein Versuch, die innere Welt des Patienten zu verstehen. Mentalisierungsfördernde Interventionen stärken das Vertrauen des Patienten in die Beziehung zum Therapeuten, weil die Wahrnehmung des Patienten, seine Sichtweise und seine Affekte als seine gültige Erfahrung angenommen werden. Dies geschieht durch ein radikales „Validieren“. Validieren heißt, jemandem mitzuteilen, dass das, was er fühlt, denkt, glaubt und erfährt, für ihn real und verstehbar ist. Validieren heißt nicht, das Verhalten gut zu heißen oder zu billigen. Validieren ist nicht urteilend oder beurteilend.
Erfolgreiches Mentalisieren stärkt das epistemische Vertrauen und ermöglicht dem Patienten, aus Erfahrungen neu zu lernen. Die Förderung von Mentalisierung als Förderung des epistemischen Vertrauens steht in enger Beziehung zur therapeutischen Beziehung, die als wirksamster „common factor“ der Psychotherapie gesehen wird (Wampold 2015). Die Förderung von Mentalisierung wird deshalb als ein gemeinsamer Faktor in allen erfolgreichen Therapien gesehen.
Die Förderung von Mentalisierung in der Therapie ist nicht ein Therapieziel für sich selbst, aber sie ist ein Weg, Affekte besser modulieren zu können, zentrale Beziehungskonflikte zu verstehen und zu regulieren. Die Förderung von Mentalisierung verbessert dabei die Selbstkontrolle und das Empfinden von Selbstkohärenz.
3. Wiederherstellen von sozialem Lernen
Die Förderung der Mentalisierungsfähigkeit geht einher mit der Schaffung von epistemischem Vertrauen. Dies ermöglicht, Neues und Anderes über die soziale Welt zu erfahren sowie alte Überzeugungen in Frage zu stellen. Die Wiederherstellung der Mentalisierungsfähigkeit holt den Patienten aus seiner durch das epistemische Misstrauen bedingten Isolation heraus. Die epistemische Alarmbereitschaft lieferte dem Patienten eine eingeengte Sichtweise seiner Erfahrungen. Patienten müssen neue Erfahrungen machen, um sich zu verändern. Die wichtigen Veränderungen passieren zwischen den Stunden, im sozialen Feld außerhalb der Therapie. Dies legt die Therapieforschung nahe (Bohart et al. 2013 S. 243).
Warum der zentrale Aspekt beim Mentalisierungskonzept die Kommunikation ist.
Wenn wir den Informationen unserer frühen Bindungspersonen trauen können (epistemisches Vertrauen), erleichtert dies den Aufbau eines unabhängigen Selbst. Wir erfahren uns als eine mit der Umwelt interagierend Identität.
Mentalisieren, heißt sich selbst von außen und den anderen von innen zu sehen, Missverständnisse reflektieren zu können. Mentalisieren ermöglicht uns erfolgreiches soziale Handeln in der Welt (Brockmann & Kirsch 2010). Dies wiederum verstärkt das epistemische Vertrauen.
Literatur
Brockmann J, Kirsch H (2010) Konzept der Mentalisierung – Relevanz für die psychotherapeutische Behandlung. Psychotherapeut 55: 279-290 (Link)
Bohart A, Wade A (2013) The Client in Psychotherapy. In: Lambert M (ed.) Handbook of Psychotherapy and Behavior Change 6th ed. Chap. 7 219-257 J. Whiley & Sons Ltd
Caspi, A., Houts, R.M., Belsky, D.W., Goldman-Mellor, S.J., Harrington, H., Salomon, I., . . . & Moffitt, T.E. (2014). The p factor: One general psychopathology factor in the structure of psychiatric disorders? Clinical Psychological Science, 2, 119–137. aus Journal of Child Psychology and Psychiatry 58:9 (2017), pp 985–987 doi:10.1111/jcpp.12805
Fonagy P & Allison E (2014) The Role of Mentalizing and Epistemic Trust in the Therapeutic Relationship. Psychotherapy 51/3 372-380
Laska, K., Gurman, A., & Wampold, B. (2014) Expanding the lens of evidence-based practice in psychotherapy: A common factors perspective. Psychotherapy, 51, 467–481. doi:10.1037/a0034332
Sharp, C., Wright, A. G. C., Fowler, J. C., Frueh, B. C., Allen, J. G., Oldham, J., & Clark, L. A. (2015). The structure of personality pathology: Both general (‘g’) and specific (‘s’) factors? Journal of Abnormal Psychology, 124(2), 387–398. https://doi.org/10.1037/abn0000033
Wampold BE (2015) How important are the common factors in psychotherapy? An update. World Psychiatry 14(3): 270-277 Published online 2015 Sept 25. dos: 10.1002/wps.20238