Mentalisieren in der Psychotherapie mit Kindern (MBT-C)
„In der Psychotherapie mit Kindern geht es um die Erfahrung eines interpersonalen Austauschs, in dem das Kind lernen kann, sich selbst als psychisch Handelnder zu sehen…“
Übers. B.Z nach P. Fonagy
in Verheugt-Pleiter, Zevalkink
und Smeets (2008)
Mentalizing in Child Therapy, S. XXI
Bindungserfahrungen mit bedeutenden Bezugspersonen und Umwelterfahrungen haben Einfluss auf die Entwicklung der Persönlichkeitsstruktur von Kindern und Erwachsenen. Bedeutende Bezugspersonen – zu denen Therapeuten zeitweise auch werden – können durch moduliertes Affektspiegeln und gemeinsame Exploration das Kind darin fördern ein stabiles und kohärentes Selbst zu entwickeln.
Die grundlegenden Prinzipien einer mentalisierungsbasierten Behandlung von Kindern sind:
Die therapeutische Haltung:
- Therapeutische Präsenz
- Sicherheit herstellen
- Interesse an der Innenwelt des Kindes, nicht nur an seinem Verhalten
- die Verbindung von Innen und Außen
- eine Neugier und nicht-wissende Haltung
- Versuche, ein gemeinsames Expertenteam zu bilden.
Markierte Affektspiegelung
- In der frühen Interaktion zwischen einer Bezugsperson, z. B. der Mutter und dem Kind bringt das Kind seine inneren Affektzustände zum Ausdruck, während die Bezugsperson intuitiv die expressiven Verhaltensweisen des Kindes markiert widerspiegelt. Zunächst ist es eine Nachahmung, Wiederholung und Übertreibung der Mimik des Kindes, um dem Baby zu zeigen, dass es wahrgenommen und verstanden worden ist, dann erfolgt eine „Markierung“ indem andere, z.B. beruhigende Affektausdrücke beigemischt werden (z. B. zur Relativierung der Angst). In diesen Interaktionsprozessen werden die Grundlagen zunächst für die gemeinsame und später für die selbständige Affektregulierung gelegt.
- Markierte Affektspiegelung kann aber auch schieflaufen:
- wenn die Bezugsperson oder später die Therapeutin zu weit entfernt vom primären Affekt des Kindes ist.
- wenn die Bezugsperson oder der Therapeut zu dicht am primären Affekt des Kindes ist. Es besteht dann die Gefahr, dass die Unterschiede zwischen dem mentalen Zustand und der Realität bzw. dem anderen nicht mehr erlebt werden. Das Resultat kann dann ein überwältigender Zustand sein. Das eigene Erleben der Bezugsperson wirkt dann ansteckend, universal und möglicherweise gefährlich.
Aufmerksamkeit, Affektregulierung und Mentalisieren
Hilfreich für die Praxis erscheint eine Haus-Metapher (nach Anne Alvarez (2012), Sandler & Freud (1989), Diez Gieser/Müller 2018 S. 87 ff ). Zunächst muss die basale Aufmerksamkeit gewonnen werden (Keller), darauf aufbauend stellt sich die Frage der (gemeinsamen) Affektregulierung (Erdgeschoss), um schließlich basale und später auch komplexe Mentalisierung zu ermöglichen.
Beachtung der Strukturebenen
Keller – Parterre – Erster Stock – Zweiter Stock
Der Keller
Vorläufer des Mentalisierens ist die Aufmerksamkeits- und Affektregulation.
Basale Aufmerksamkeitsregulation kann gefördert werden durch „shared attention“. Einen gemeinsamen Fokus der Aufmerksamkeit finden im Spiel oder Gespräch. Z.B. dasselbe anschauen und darüber in Kontakt treten, z.B. wenn Therapeutin und Kind das rote Feuerwehrauto großartig finden! Es entsteht dabei ein gemeinsamer psychischer Raum, den Therapeutin und Kind kreieren und nutzen können.
- Sinnvolle therapeutische Interventionen im Keller:
- Kontakt herstellen
- wecken des Interesses für „shared attention
- Aufmerksamkeit aufrecht erhalten für den Inhalt des gemeinsamen Spiels
- Einführen einer Struktur z.B. eines Themas
- Benennen oder Beschreiben von Verhalten
- Erinnern
- „Interactive Repair“ d.h. reparieren der Therapeutischen Beziehung, z. B. wenn Missverständnisse passieren.
Parterre
Zentrale Ziele sind Affektregulation, Affektbenennung, markierte Spiegelung, Gefühle identifizieren, benennen, unterscheiden, explorieren und validieren.
Ein Ergründen von Zusammenhängen oder tieferen Bedeutungen ist hier noch überfordernd. Es ist deshalb eher angebracht deskriptiv Affekte von Dritten vorsichtig zu benennen, auch über Spielfiguren.
- Insgesamt geht es im interaktionellen Kontakt um:
- die Hinwendung zu Affekten, um Spiegelung und Benennen von Affekten
- die Einstimmung auf den Als-Ob Modus, der hier zum Trainingsareal wird
- die Trennung von Realität und Phantasie zu betonen
- dem Affektzustand einer Spielfigur, eines Dritten oder des Kindes Realitätswert zu geben
Erster Stock
Die Sprache und das Spiel beginnen erklärend zu werden, basale Mentalisierungsfähigkeiten entstehen. Zusammenhänge, der Verweis auf und der Bezugsrahmen von Affekten erhalten Bedeutung. Ein Perspektivwechsel wird möglich.
- Mögliche therapeutische Interventionen:
- die Arbeit an Bruchstellen des Mentalisierens fördern
- die Exploration von Perspektiven in den Vordergrund stellen
- „Playing with Reality“ (Als ob Modus), d.h. den Konjunktiv möglich machen
- ein Narrativ zum Geschehen entwickeln und Details wichtig werden lassen
- Kommentare über mentale Inhalte möglich machen
- das Erleben und die Gefühle Dritter diskutieren, auch hinsichtlich Realität oder Fantasie
Zweiter Stock
Themen können jetzt sein:
+ „Warum“- Themen und „Weil“-Themen
+ die Selbst- und Fremdwahrnehmung
+ die Selbstreflexion und die Reflexion von Beziehungen zu anderen Personen
- Mögliche therapeutische Interventionen
- ein umfassendes biografisches Narrativ zustande kommen lassen und versuchen es zu verstehen
- Kommentare zur Beziehung im Hier und Jetzt möglich machen
- Arbeit an Selbst- und Beziehungsmustern initiieren
- Kommentare des Therapeuten über mentale Prozesse des Kindes und über interaktive Prozesse.
Bei Jugendlichen sind die mentalisierungsfördernden Interventionen ähnlich wie die bei Erwachsenen:
- Exploration, Neugier und Standpunkt des Nicht-Wissens
- Affektregulation
- Stimulierung des Mentalisierens im Prozess
- Affekt-Fokussierung
- Verknüpfung von Affekt und interpersonalen Ereignissen
- Beobachtung von Missverständnissen
Literatur
Alvarez A (2012): Ebenen der analytischen Arbeit und Ebenen der Pathologie: Die Arbeit des Kalibrierens. Kinderanalyse, 20 , S. 70-94
Bateman A, Fonagy P (2012): Handbook of Mentalizing in Mental Health Practice. American Psychiatric Publishing, Washington
Diez Grieser M.T., Müller R (2018): Mentalisieren mit Kindern und Jugendlichen. Klett-Cotta, Stuttgart
Sandler J, Freud A (1989): Die Analyse der Abwehr. Klett-Cotta, Stuttgart
Verheugt-Pleiter AJE, Zevalkink J, Schmeets M (2008)
Mentalizing in Child Therapy Guidelines for Clinical Practitioners
London Routledge. DOI https://doi.org/10.4324/9780429477256