Fokusformulierungen in mentalisierungsorientierten Behandlungen
Man kann zwischen einer Fokusformulierung innerhalb einer Behandlung und einer Fokusformulierung innerhalb einer Psychotherapiestunde unterscheiden. Hier finden Sie ausschließlich etwas über den zweiten Aspekt.
Fokusformulierung innerhalb einer Stunde
Die Vorstellungen darüber lassen sich in einem modellhaften Verlauf beschreiben:
+ Entwicklung eines Narrativs (=Klarifikation)
Zu Beginn ist es die Aufgabe des Therapeuten, mit dem Patienten einen Fokus für die Stunde zu finden. Dies wird in der Regel die ersten 5-10 Min. in Anspruch nehmen. Der Therapeut ist dabei aktiv beteiligt, hört zu, kann Anregungen geben und strukturieren, stülpt dem Patienten aber ein Thema nicht über.
Ist ein Ereignis, etwas was der Patient erlebt hat, gefunden, wird das Narrativ zum Erlebten erarbeitet.
Zunächst geht es um die detaillierte Schilderung des Ereignisses. Das Narrativ wird erzählt oder herausgearbeitet wie eine Filmszene, ein Drehbuch. Diese, recht konkrete und minutiöse, Schilderung aktiviert die bei dem Ereignis beteiligten Emotionen. Dabei sind zunächst die Fakten wichtig, dann die damit verknüpften Emotionen. Sie werden nun im Hier und Jetzt (in abgemilderter Form) spürbar und können im Hier und Jetzt thematisiert werden.
+ Affektelaboration
Für mentalisierungsorientierte Behandlungen ist die Fokussierung auf den Affekt spezifisch. Zentral ist der Prozess der Fokussierung auf den gegenwärtigen Affekt.
Dabei geht es um die Identifizierung und Differenzierung der Emotionen im Hier und Jetzt.
Bateman & Fonagy nennen dies die Stimulierung und Förderung der „mentalized affectivity“. Mentalisierte Affektivität vermittelt ein komplexes Verstehen des eigenen Affekterlebens (Fonagy et al 2018). Die eigenen Affekte werden zum Gegenstand der Reflexion, während man sie in sich wahrnimmt. Dies geschieht nicht störungsspezifisch, sondern allgemein `entwicklungsfördernd`.
Wenn es möglich ist, kann in einem weiteren Schritt der gegenwärtige Affekt der von Patienten und Therapeut geteilt wird, zum Fokus werden. Manchmal gibt es Affekte, die gemeinsam erlebt werden, aber für die keine Worte gefunden wurden oder Worte vermieden werden. Es ist dann Aufgabe des Therapeuten, gemeinsam mit dem Patienten diesen „Elefanten im Raum“ zu elaborieren und zu benennen. Dabei ist zu beachten, dass der „Elefant im Raum“ sowohl vom Patienten als auch vom Therapeuten bewirkt/geschaffen wird.
Was ist bei der Affektelaboration zu beachten?
- Es ist nicht Ziel, dass der Therapeut dem Patienten beibringt, wie man mentalisiert.
- Gefördert werden soll ein gemeinsamer Prozess des Mentalisierens.
- Ziel ist es, den Patienten für eine neugierige explorative Haltung zu gewinnen.
Aus Skript: Delivering MBT Skills to Mental Health Practioners
Bateman & Treliving S. 41
Diese Form der Affektelaboration soll bei Berichten von traumatischen Erlebnissen zur Koppelung an das „Hier und Jetzt“ führen, anstatt einem Verhaftetsein im „Dort und Damals“ des Traumas.
+ Challenging
Challenging charakterisiert Interventionen, die den Patienten auf eine undefinierte aber kreative Weise herausfordern, mit dem Ziel, das Nichtmentalisieren des Patienten zu unterbrechen.
Challenging soll einen Perspektivwechsel anregen, um dadurch wieder Mentalisieren zu ermöglichen.
Was ist, wenn eine Fokusformulierung in der Behandlungsstunde nicht möglich ist?
Der Therapeut kehrt zurück zu den Aspekten:
+ Unterstützung Der Therapeut versucht ggf. aktiv, die Motivation zur Behandlung aufrecht zu erhalten. Er identifiziert und exploriert gelungenes Mentalisieren beim Patienten.
+ Empathie Der Therapeut zeigt sein authentisches Interesse an dem Patienten und seiner Geschichte. Er bemüht sich an der Seite des Patienten zu stehen (aber nicht für ihn zu handeln).
+ Validierung Das, was der Patient fühlt, sagt und tut, ist aus seiner Sicht verstehbar. Es gibt mehr als eine richtige Sichtweise. Es geht nicht um Urteile von richtig/falsch, gut/schlecht, moralisch/unmoralisch, realistisch/unrealistisch oder um Beurteilung, sondern um die radikale Akzeptanz, dass die geäußerte Sichtweise Gültigkeit hat.
Diese Aspekte sind allgemeine Faktoren erfolgreicher Psychotherapie und nicht spezifisch für das Modell der mentalisierungsbasierten Therapie (MBT). Die Aspekte unterstützen die Allgemeinen Wirkfaktoren („Common Factors“). Die „Common Factors“ beschreiben die Wirksamkeitsfaktoren von Psychotherapie, wie sie Wampold et al. (2018) in umfangreichen Metaanalysen von Psychotherapiestudien gefunden haben.
Ein spezieller Fall der Fokusformulierung in der Therapiestunde
ist das gemeinsame Mentalisieren der therapeutischen Beziehung und des Erlebens in der Psychotherapie.
Der Fokus liegt damit bei dem, was man in der Psychoanalyse unter Übertragung und Gegenübertragung versteht. In der mentalisierungsorientierten Therapie geht es auch um die Mentalisierung der Übertragung und Gegenübertragung. Wie dies geschieht, haben wir in an anderer Stelle beschrieben (Brockmann & Kirsch, 2017).
Literatur
Brockmann & Kirsch (2017) Psychoanalytische Arbeit und das Mentalisierungskonzept In: B. Unruh; I. Moeslein-Teising, S. Walz-Pawlita (Hg.) Grenzen. Psychosozial Vlg. Gießen)
Fonagy P, Gergely G, Jurist EL, Target M (2018) Affektregulierung, Mentalisierung und die Entwicklung des Selbst. Klett-Cotta, Stuttgart
Wampold BE, Imel ZE, Flückiger C (2018) Die Psychotherapie – Debatte. Was Therapie wirksam macht. Hogrefe. Bern